Die Entstehung
Im Jahr 1264 erhielt die Stadt Winterthur am 22. Juni von Graf Rudolf von Habsburg, Erbe der Kyburger, das Stadtrecht. Es war gleichzeitig der Namenstag des St. Albanus (s. «Herkunft des Namens»). Dieser Schritt in die Freiheit begründete den «Albanitag», den die Stadt im Lauf der Zeit auf die Sonnenwende am 21. Juni legte. An diesem besonderen Datum versammelte sich die Bürgerschaft jährlich um 4 Uhr früh, und zwar bis 1437 unter freiem Himmel auf dem Marktplatz, danach im Rathaus und schliesslich aus Platzgründen in der Stadtkirche. Auf die Verlesung des Stadtrechtsbriefs folgten jeweils die Wahlen des Schultheissen und weiterer Ratsmitglieder, wichtige Gerichtsurteile und Beschlüsse. Abschliessend zum politischen und behördlichen Teil erneuerte die Bürgergemeinde den Eid auf ihre Stadt und weitere Obrigkeiten wie Zürich oder Habsburg.
Krönender Höhepunkt war das «Albanimahl», auch Bürgerschenke oder Albanischenke genannt: Alle Bürgerinnen und Bürger waren von der Stadt zu Wein, Brot und Käse eingeladen, und das Fest der Winterthurer Freiheit und Gemeinschaft wurde mit Musik und Tanz gefeiert. In dieser Form pflegte die Stadt ihren Brauch während vieler Jahrhunderte.
Die Veränderung
Im 18. Jahrhundert war Winterthur Teil des weltweiten Grosshandels in seiner Blütezeit. Doch den Vorzeichen der Industrialisierung folgten erste Risse, die auf eine inneren Entfremdung hindeuteten: Durch wachsende Ungleichheit in der Bürgerschaft entstanden gesellschaftliche Klassen, die sich zunehmend voneinander abgrenzten. In einigen Jahren fiel die gemeinsame Albanifeier sogar aus. Als Ersatz, wohl vor allem für die bedürftigen Bürgerinnen und Bürger, wurden in diesen Jahren trotzdem je zwei Mass Wein und zwei «Spitalbrote» (früher kirchlich dargebotenes «Armenbrot») verteilt. Obschon die Bereitschaft zu einem gemeinsamen Fest sank, hielt man ab 1758 zumindest an der Ausgabe von Wein und Brot fest.
Die 1870er-Jahre brachten mit sich, dass die Stadt Winterthur durch ein Eisenbahnprojekt und unter der Last einer Weltwirtschaftskrise über Massen in Schulden geriet. Es war das vorläufige Ende des uralten Brauchtums, das ursprünglich zur Feier von Unabhängigkeit und Gemeinschaft eingeführt worden war.
Das Wiedererwachen
Die 1930er Jahre brachten den Albanitag zuerst als «Jungbürgerfeier» in die Stadt zurück. Ab 1945 veranstaltete erstmals ein Organisationskomitee «Albanitag Winterthur», bestehend aus Quartiervereinen der Altstadt, um den Albanitag herum kleinere Quartierfeste. 1964 feierte die Stadt Winterthur ihren 700-jährigen Stadtrechtsbrief von 1264 mit einem grossen Volksfest. Zwei weitere Stadtfeste mit historischem Hintergrund folgten: «500 Jahre Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft» (1967) und «100 Jahre Zürcher Staatsverfassung» (1969).
Nach diesen Grossanlässen wurde der Wunsch immer stärker, das kulturelle Winterthurer Erbe als jährliches Fest wieder aufleben zu lassen.
Das Albanifest heute
1971 fand das erste «Albanifest» so statt, wie wir es heute kennen. Zur Organisation und Leitung des Anlasses war im Dezember 1970, nach Gesprächen mit lokalen Vereinigungen und gestärkt durch Impulse des Stadtrats, das Albanifest-Komitee Winterthur gegründet worden.
Unter Beteiligung vieler lokaler Vereine wurde das Albanifest bald wieder zum grössten und sehr beliebten Winterthurer Brauchtum: Jährlich am letzten Juni-Wochenende pulsiert im historischen Stadtzentrum drei Tage lang das Winterthurer «Fest der Feste». Die Ausstrahlung des Albanifests reicht weit über die Region hinaus und ist für Stadt und Grossraum Winterthur gesellschaftlich, touristisch und wirtschaftlich von grosser Bedeutung. Einheimische wie angereiste Gäste geniessen in der Winterthurer Altstadt die kulturelle, kulinarische und unterhaltsame Vielfalt.
Im Mittelpunkt stehen bis heute Werte wie Gemeinschaft, Freiheit und Gastfreundschaft, welche vor über 750 Jahren den damaligen Verantwortlichen am Herzen lagen. Das Albanifest pflegt diese wichtige Tradition und ist durch seinen Eintrag in der Schweizer UNESCO-Liste der immateriellen Kulturgüter als lebendiges Brauchtum anerkannt.
Herkunft des Namens
Namensgeber des Albanifests ist der heilige Alban, lateinisch «St. Albanus». Wie St. Laurentius und St. Pankratius ist er ein Schutzpatron der Stadt Winterthur. Der Legende nach wurde Albanus unter römischer Herrschaft als christlicher Märtyrer enthauptet. Eine bildliche Darstellung findet sich im mittelalterlichen Deckengemälde in der Sakristei der Winterthurer Stadtkirche.